Wenn man einmal nicht im Projekt ist

Obwohl wir natürlich den Großteil unserer Zeit im Projekt verbringen und die Kinder am Morgen unterrichten und später am Nachmittag betreuen, finde ich es trotzdem wichtig, dass man sich auch hier seine persönlichen Freiräume nimmt – so wie man es in Deutschland für gewöhnlich ja auch tut.

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, dass das Haus mit unserem Zimmer ein wenig abseits der Klassenräume und somit fern vom ganzen Trubel der Kinder liegt und wir dadurch einen Rückzugsort haben.

Ich kann mich somit ganz bewusst entscheiden, wann ich am Nachmittag voll und ganz mit den Kindern spielen oder mich zeitweise zurückziehen möchte.

Eine wirklich große Umstellung war für mich, dass das Schauen von Videos auf YouTube oder das Ansehen von Serien und Filmen auf Netflix hier leider aufgrund des schlechten WLANs nicht möglich ist.

Also verbringe ich meine Freizeit hauptsächlich damit, dass mir Tom regelmäßig Gitarrenunterricht auf seiner Gitarre gibt und ich abends viel auf meinem eBook-Reader lese.

Mittlerweile habe ich mich mit dieser Situation des schlechten Internets abgefunden und eigentlich ist es doch erstaunlich, wieder einmal zu sehen, dass man seine Freizeit auch ohne jeglichen Konsum von digitalen Medien gestalten kann.

Nichtsdestotrotz wird meine Watchlist auf Netflix immer länger und ich kann es kaum abwarten, die neuesten Filme und Serien zu schauen – dafür mag ich dieses Medium einfach viel zu sehr. 😀

Des Weiteren haben Tom und ich uns auf unserem Gelände ein kleines Fitnessstudio gebaut, wo wir nun öfter unterhalb der Woche am Abend hingehen. Die Kinder finden es immer sehr interessant, was wir dort treiben und beobachten uns und versuchen sich dann selbst an Liegestützen und anderen Übungen.

An manch anderen Abenden gehen Tom und ich gerne in das ungefähr zehn Gehminuten entfernte Dorf Oshipeto, in dem etwa 500 Menschen leben.

Bei unserer Ankunft haben uns die Schwestern eigentlich verboten, diesen Ort aufzusuchen, weil es dort nach ihrem Eindruck zu gefährlich wäre.

Jedoch mögen sowohl Tom als auch ich Bars und Bier viel zu sehr, sodass wir uns irgendwann dann doch zu diesem besagten Ort aufgemacht haben.

Bei unserer Ankunft ist uns dann auch als Erstes die Anzahl an kleinen Bars in dem Dorf aufgefallen, da fast jede zweite Hütte solch eine beinhaltet. Die hohe Dichte an kleinen Bars in Oshipeto ist aber in Namibia kein Einzelfall: Egal wo wir hingekommen sind, meistens gab es zu jedem Wohnhaus eine kleine Bar.

In diesen findet nämlich ein Großteil des sozialen Austausches statt, in den Tom und ich in Oshipeto nun immer mal wieder hineingeraten: Ein häufiges Gesprächsthema ist das Klima. Die Leute erzählen uns oft, dass es wohl in den letzten Jahren aufgrund des fehlenden Regens immer schwieriger wäre, Landwirtschaft zu betreiben.

Im Gespräch mit unserer Barkeeperin Liina

Auf das Thema Deutschland werden wir Beiden ebenfalls oft angesprochen: Tatsächlich mögen viele Menschen hier die deutsche Kultur sehr und sind ganz stolz, wenn sie uns zum Beispiel die deutsche Nationalhymne vorsingen können oder die Namen deutscher Städte kennen.

In Anbetracht der deutschen kolonialen Vergangenheit, finde ich es umso erstaunlicher, dass nahezu alle Menschen, auf die wir bisher gestoßen sind, sehr von Deutschland überzeugt sind.

Bei neuen Bekanntschaften erzählen wir, dass wir nun für ein Jahr in Namibia leben und an der Blandina Neema School als Lehrer für die 1.-3. Klasse arbeiten.

Wenn die Leute dies hören, freuen sie sich sehr und oftmals bekommen wir zu hören, dass es gut für die Zukunft von Namibia ist, wenn Leute wie wir helfen, die Kinder zu unterrichten.

Da fühlt man sich in seiner Arbeit hier doch sehr bestätigt, wenn man solche Worte von den Einheimischen hört.

Abschließend kann man sagen, dass wir nun viele Dorfbewohner bereits gut kennen und immer wieder gern dorthin gehen. Es macht Spaß, auch einmal mit anderen Erwachsenen in der Region in Kontakt zu kommen und so weitere Eindrücke vom Land zu sammeln.

Natürlich kommt es ab und zu einmal vor, dass man von manchen Einheimischen nach Geld oder nach einem Bier gefragt wird, jedoch kann man dies immer freundlich ablehnen und muss mit keinen Anfeindungen rechnen.

Hier sieht man auch, dass die Schwestern, die so gut wie die gesamte Zeit für sich in ihrem Komplex leben und wenig mit anderen Menschen außerhalb des Projekts in Kontakt kommen, in unseren Augen ein vielleicht nicht ganz richtiges Bild von ihrem Land haben.

Tom hinter der Bar

Die Wochenenden bieten uns dann die Möglichkeit, auch mal für einen längeren Zeitraum aus Oshipeto herauszukommen und die Gegend zu erkunden:

Als wir in Windhoek auf unser Visum gewartet haben, waren wir in einer Unterkunft der katholischen Kirche untergebracht und haben jeden Abend mit dem Priesteranwärter Peter zu Abend gegessen.

Wie es der Zufall wollte, haben wir erfahren, dass er in einer Kirche im Norden Namibias, die gar nicht so weit von Oshipeto entfernt ist, ein paar Wochen später zum Priester geweiht werden sollte. Da wollten wir es uns natürlich nicht nehmen lassen, diesen Gottesdienst zu besuchen.

So sind Hanna, Julia, Tom und ich direkt am ersten Wochenende nach Anamulenge getrampt (oder wie man hier sagt „gehiked“) und haben die Messe besucht.

Auf dem Truckbed eines Toyota Hilux

Aufgrund der großen Besucherzahl wurde diese im Freien in einem großen Zelt gefeiert. Alles war sehr festlich gehalten und jeder war schick angezogen. Man merkte definitiv, dass die Priesterweihe für viele Menschen ein besonderes Ereignis ist.

Zu unserem Nachteil wurde die Messe dann jedoch komplett auf Oshivambo gehalten und ging volle fünf Stunden.

Als wir aber nach dieser wirklich langen Zeit des Nichtverstehens persönlich zu Peter gegangen sind, um ihm zu gratulieren, war dieser sehr überrascht und hat sich sichtlich über unser Kommen gefreut.

Wir wurden direkt auf die nachfolgende Feier eingeladen und bei dem ein oder anderen kalten Getränk und gutem Essen hatte man die vorherigen Stunden schon fast wieder vergessen.

Ein ganz besonderes Wochenende haben wir dann Mitte Oktober im Etosha-Nationalpark verbracht: Zu viert haben wir uns für drei Tage ein Auto gemietet und haben Kilometer für Kilometer in einem der bekanntesten Nationalparks Namibias zurückgelegt.

Es war einfach eine grandiose Zeit, mit dem Auto herumzufahren und immer wieder anzuhalten, um sich ein Tier aus nächster Entfernung angucken zu können.

Für mich persönlich war es ein tolles Gefühl, so ziemlich jedes Tier aus meinem Kindheitsfilm „Der König der Löwen“ einmal in freier Wildbahn zu sehen.

Da das Wetter gut mitgespielt hat und es nicht allzu heiß war, konnten wir viele Zebras, Antilopen, Nashörner, eine Löwenfamilie und viele andere Tiere beobachten.

Einen Moment, den ich wohl nie vergessen werde, war, als wir am Samstagabend als einziges Auto mitten in der Wildnis mit ungefähr 40 Elefanten an unserer Seite in den Sonnenuntergang gefahren sind. Das war einfach unglaublich!

Übernachtet haben wir dann auf zwei verschiedenen Camping-Plätzen im Park, auf denen man auch abends noch an ein beleuchtetes Wasserloch gehen und weitere Tiere beobachten konnte.

Neben diesen ganzen tollen Momenten muss man natürlich auch sagen, dass der Etosha-Nationalpark und auch die Unterkünfte sehr für Touristen ausgelegt sind:

Während man im restlichen Namibia und vor allem in den Städten und Dörfern in unserer Region als Weißer sehr auffällt, muss man nur in den Etosha-Nationalpark fahren und sieht auf einmal, abgesehen vom Dienstpersonal, nur noch Menschen mit weißer Hautfarbe. Das war in dem Moment schon sehr seltsam.

Auch die Mülltrennung auf den Camping-Plätzen, die tollen Pool-Anlagen mit ausreichend Wasser, die temperaturverstellbaren Duschen und die großen Restaurants in den Lodges spiegeln einfach nicht die Realität Namibias wider.

Bitte versteht mich an dieser Stelle nicht falsch: Ich wage zu behaupten, dass in keinem Land der Welt touristisch geprägte Regionen die Realität des jeweiligen Landes richtig darstellen.

Ich bin davon überzeugt, dass es gut ist, dass jeder Tourist die Chance bekommt, nach europäischen Standards in Namibia Urlaub zu machen. Schließlich sind die Hotelpreise ebenfalls nach europäischen Standards und stellen einen großen Entwicklungsmotor für Namibia dar und bieten viele Arbeitsplätze.

Ich finde nur, dass sich jeder Namibia-Urlauber vor der Reise noch einmal bewusst machen sollte, dass die tollen Lodges mit dem restlichen Land nur schwer zu vergleichen sind. Wenn man dies im Hinterkopf hat und mit dem Bewusstsein an die Reise geht, steht einem tollen Urlaub in Namibia wohl nichts mehr im Wege.

Denn eins steht für mich jetzt schon fest: Namibia ist ein wahnsinnig tolles Reiseland, welches ich jedem nur wärmstens ans Herz legen kann.

In der Etosha-Pfanne
Mitten im Nirgendwo…

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