Vor meinem Freiwilligendienst und auch die ersten Tage im Projekt habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht und auch daran gezweifelt, ob ich diesen Satz eines Tages sagen werde, aber jetzt bin ich der Meinung, dass es soweit ist:
Ich fühle mich nun voll und ganz zu Hause und angekommen in Oshipeto.
Klar, natürlich fallen mir immer noch jeden Tag die Unterschiede zu meiner Heimat Paderborn auf, aber das Alltagsleben hat mich hier gepackt und ich fühle mich schon längst nicht mehr wie ein Tourist, ein Besucher oder ein Beobachter.
Tom und ich sind jetzt ein Teil des Kollegiums unserer Schule und das spüren wir jeden Tag:
Der Unterricht am Morgen klappt von Woche zu Woche besser: Mittlerweile können wir die Kinder mit ihren Namen ansprechen und haben bereits viel Ordnung in die Klassen gebracht.
So ist es zum Beispiel mittlerweile für die Kinder aller drei Klassen kein Problem mehr, am Anfang der Sportstunden einen Kreis zu bilden und danach neue Sport-Spiele oder Techniken zu lernen.
Dies war tatsächlich ein langer Weg und wir mussten hierbei in manchen Sportstunden zuvor eine recht strenge Schiene fahren: Wenn es die Kinder nicht geschafft haben, in kurzer Zeit auf dem „Sportfeld“ einen Kreis zu bilden und zur Ruhe zu kommen, haben wir die Stunden an der Stelle abgebrochen und sind mit 30 traurigen Kindern wieder zurück in den Klassenraum gegangen, um dort die Regeln des Sportunterrichts abzuschreiben.
Auch unser eingeführtes Sternstunden-Prinzip trägt wohl maßgeblich dazu bei, dass die Sportstunden nun so gut ablaufen. Inzwischen geht es den einzelnen Klassen gar nicht mehr hauptsächlich darum, nach fünf Stern-Stunden eine Sportstunde lang Fußball spielen zu dürfen. Die Klassen haben stattdessen angefangen, sich gegenseitig anhand der Sterne zu vergleichen und so kommt es derzeit häufig vor, dass mich zum Beispiel Schüler der zweiten Klasse fragen, wie viele Sterne denn die dritte Klasse schon hätte.
Obwohl das anfangs gar nicht so gedacht war, ist es schön zu sehen, wie die Kinder unsere Idee weiterentwickeln und dies alles noch zu einem guten Verhalten im Unterricht führt.
Unserer zweiten und dritten Klasse haben wir in den letzten Wochen die Grundlagen der Musiktheorie beigebracht.
Obwohl die Kinder alle sehr gut singen und tanzen können, ist das theoretische Wissen, wie Musik funktioniert oder wie man sie notiert, bei so gut wie keinem Kind, aber auch genauso wenig bei den Erwachsenen vorhanden. Selbst in den Gesangsbüchern in der Kirche sind lediglich die Texte der Lieder abgedruckt, jedoch weder Melodie noch Rhythmus.
Anders als vor ein paar Wochen wissen die Schüler aber nun, was es mit Achtel-, Viertel-, halben und ganzen Noten auf sich hat und sind in der Lage, Takte zu bilden. Da waren Tom und ich schon echt stolz auf uns und die Kinder, als wir nach vielen Stunden des Erklärens am Ende der Einheit die Arbeitsblätter eingesammelt haben und der allergrößte Teil unserer Schüler das Prinzip wirklich gut verstanden hat.
Am Wochenende haben wir in letzter Zeit immer einen Film mit den Kindern geschaut. Es ist echt schön, dass das Projekt einen Beamer besitzt, den wir, wenn es dunkel wird, einfach vor einer Hauswand aufstellen und so eine echt tolle Kinoatmosphäre unter dem afrikanischen Sternenhimmel kreieren.
Besonders gut funktionieren Animationsfilme bei den Kindern, da sie diese gut verstehen und die Comedy, die allein durch das Visuelle funktioniert, sehr gut ankommt.
Was mich nach wie vor sehr beeindruckt, ist die Selbstständigkeit der Kinder: Da fast alle Schülerinnen und Schüler einen sehr weiten Schulweg haben, übernachten sie eigentlich das gesamte Term über im Hostel auf dem Gelände. In dieser Zeit sind sie für sich selbst verantwortlich und müssen beispielsweise schon in der Vorschule ihre Wäsche selber waschen.
Wenn ich das mit der Tatsache vergleiche, dass ich in der vierten Klasse meine allererste Klassenfahrt, die eine Übernachtung einschloss, gehabt habe, ist die Leistung der Kinder hier wirklich bemerkenswert.
Oftmals ist es so, dass sich auch die älteren Schüler um die jüngeren Schüler kümmern und zum Beispiel schauen, dass sie am Morgen ihre Hemden der Schuluniformen richtig zugeknöpft haben. Dies erinnert mich dann doch immer sehr an die Reisen mit dem Domchor, wo ebenfalls die älteren Sänger die jüngeren betreut haben.
Da auf der Blandina Neema School nur bis zur siebten Klasse unterrichtet wird, wurde Ende Oktober eine Abschiedsfeier für die siebte Klasse veranstaltet, deren Schüler nach den Ferien auf andere Schulen gehen werden.
Im Vorfeld haben Tom und ich für diesen Anlass mit dem Lehrer Sir David eine Ziege bei einem Landwirt in der Umgebung ausgewählt und sind mit dieser als Gepäck im Kofferraum zurück nach Oshipeto gefahren, wo sie dann anlässlich der Feier geschlachtet wurde.
Weiterhin waren wir mit unseren Kolleginnen in Outapi, wo wir Lebensmittel und Getränke einkauften und die T-Shirts für die siebte Klasse für diesen besonderen Tag bedrucken ließen.
Am eigentlichen Tag der Veranstaltung gab es eine Zeremonie mit einer Rede der Schulleiterin, Gesang und Tanz. Außerdem wurden die Schüler mit besonderen Ergebnissen geehrt. Es hat sich ein bisschen angefühlt wie meine Abi-Entlassung vor ein paar Monaten.
Nach der Verleihung wurde mit den Schülern und deren Eltern über den Nachmittag hinweg bei leckerem Essen und Getränken gefeiert. Man hat deutlich gemerkt, dass sich die Siebtklässler sehr über das Fest gefreut haben und es ein bedeutsamer Tag für sie war.
Mitte Oktober sind wir für ein Wochenende nach Outapi gefahren, um dort die deutschen Freiwilligen Maria und Lukas vom Roten Kreuz kennenzulernen.
Übrigens, auch das Trampen, welches sich zu Beginn immer sehr aufregend und spektakulär angefühlt hat, ist nun Alltag geworden.
Während wir in Oshipeto sehr ländlich wohnen, leben Maria und Lukas in der Hauptstadt der Region Omusati. Als wir am Freitag zu den beiden ins Büro kamen, wurden wir auch von ihren Arbeitskollegen nett begrüßt. Wir haben uns ihre Arbeit angeschaut und weil hier in Namibia gefühlt alles spontan ist, hat uns die Vorgesetzte von Maria und Lukas gleich dazu eingeteilt, bei einem am nächsten Tag stattfindenden Fußball-Turnier als Sanitäter mitzuhelfen.
So befand ich mich am nächsten Tag mit einem Leibchen vom Roten Kreuz bekleidet auf einem Fußballplatz, wo die Schulteams mehrerer Schulen gegeneinander spielten.
Ich fand es sehr erstaunlich, wie sehr beim Fußballturnier auf die Regeln geachtet wurde: So wurde zum Beispiel auch in den unteren Altersklassen mit zwei Linienrichtern überprüft, ob die Abseits-Regel eingehalten wird.
Zum Glück mussten wir nur ab und zu ein paar Kinder mit einem Pflaster versorgen und es hat sich keiner ernsthaft verletzt. Wenn letzteres eingetreten wäre, wüsste ich bis heute nicht, was ich da unternommen hätte. 😀
Anfang November haben unsere Mitfreiwilligen Julia und Hanna spontan an der Supermarktkasse Kai kennengelernt. Da man in unserer Region so gut wie nie Menschen mit weißer Hautfarbe sieht, kamen die drei auch sofort ins Gespräch. Kai erzählte, dass er in Windhoek geboren und aufgewachsen ist, jedoch deutsche Wurzeln hat. Nach seinem Studium in Deutschland arbeitet er nun für das deutsche Forschungsprojekt „EPoNa“, das sich in unserer Region befindet.
Die Hochschule Geisenheim und die Technische Universität Darmstadt stehen hinter dem Forschungsprojekt, Geldgeber ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Dieses Projekt haben wir uns alle zusammen ein Wochenende später angeschaut.
Auf dem Gelände wird versucht, die Qualität des Abwassers so zu verbessern, dass man es zur Bewässerung nutzen und somit Futterpflanzen anbauen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, forscht Kai, wie sich verschiedene Wasserqualitäten und Klärschlamm in Bezug zu Pflanzen und Boden verhalten.
Ich hätte im Leben nicht erwartet, dass sich in unserer Region solch ein komplexes Projekt befindet und war umso mehr überrascht, als ich das Gelände gesehen habe.
Wenn ich das nun alles so schreibe, ist es eigentlich kein Wunder, dass bei so vielen Erlebnissen und einem vollen Alltag die Zeit für einen selbst schnell vergeht und das erste Term bereits herum ist.
Anders als in Deutschland gibt es hier in Namibia nicht zwei Schulhalbjahre, sondern drei Terms innerhalb eines Jahres, zwischen denen sich dann die Ferien befinden.
Ich muss gestehen, dass ich mich wirklich wahnsinnig erschrocken habe, als ich letztens realisierte, dass wir nur noch zwei Wochen bis zu den Weihnachtsferien haben.
Mit den Kindern haben wir in den letzten Kunststunden Weihnachtsgeschenke für die Eltern der Schüler gebastelt. Da weder Tom noch ich richtig gut im Basteln sind, habe ich vorher eine Freundin meiner Mutter, die einen Bastelladen betreibt, kontaktiert, die mir daraufhin viele Bastelanleitungen gesendet hat.
Neben selbst gebastelten Sternen zum Aufhängen haben wir zusätzlich Weihnachtskarten gemalt und geschrieben.
Außerdem bekommen die Schüler am Ende jedes Terms ihre Zeugnisse: Das hieß für Tom und mich, dass wir unsere Noten, die wir während des Terms in den jeweiligen Fächern gesammelt haben, für jedes Kind zusammenrechnen und anschließend eine Endnote vergeben mussten. Diese haben wir dann immer den jeweiligen Klassenlehrern übermittelt.
Die Noten der Fächer Kunst und Sport kommen auf die offiziellen Zeugnisse der Kinder und für den Deutsch-Unterricht haben wir ein separates Zertifikat erstellt.
In den Ferien werden die Kinder von ihren Eltern abgeholt und verbringen die Zeit nicht im Hostel, sondern bei sich zu Hause. Das bedeutet für uns, dass wir nun viel Zeit haben, um noch mehr von Namibia zu sehen:
Im Dezember werden wir uns zu viert ein Auto mieten und haben geplant, mehrere tausend Kilometer durch das ganze Land zu fahren. Weihnachten und Silvester werden wir in der Küstenstadt Swakopmund verbringen.
Im neuen Jahr werden noch die Südafrika-Freiwilligen Luis und Janneke nach Namibia kommen und da lassen wir uns es natürlich nicht nehmen, ihnen für ein paar Tage die Hauptstadt zu zeigen.
Und nach dieser langen Zeit des Unterwegsseins kann ich es schon kaum erwarten, wenn wir wieder gesund und munter zurück in Oshipeto sind, alle Kinder wiedersehen und mit unseren Aufgaben fortfahren können.
Gewiss werden Tom und ich dann auch wieder vor unserer Lieblingsbar im Dorf sitzen und sagen:
„Schön, dass wir wieder zu Hause sind!“
Ein Gedanke zu “Unser neues Zuhause”
Hallo Sebastian! War wieder sehr interessant zu lesen 👍 und von Lehrer zu Lehrer mal ein dickes Kompliment für eure Erfolge im Unterricht 👌 liebe Grüße aus Paderborn, Joachim Göbel